Kunstmaler und Kunsterzieher am Domgymnasium in Verden an der Aller. Am 6.6.1886 wurde Erich Wessel in einer kleinen hinterpommerschen Stadt, Gr. Rambin Kreis Belgard, in eine Beamtenfalilie hineingeboren. Wie seine drei Geschwister wurde er nach alter preußischer Art zur Pflicht, Bescheidenheit und Rücksichtnahme erzogen. Diese Tugenden verloren jedoch in späteren Zeiten viel an Wert und mit manchem inneren Konflikt mußte sich Erich angesichts zunehmender Scharlatanerie im Milieu seines Berufslebens auseinandersetzen. Als er vier Jahre alt war, begann er bewußt zu zeichnen und kann sich noch heute jener Motive erinnern, wie beispielsweise des Zuges Emin Paschas durch die Wüste, von dem er gehört hatte. Sein Lieblingsthema waren Pferde, von denen er heute allerdings sagt, daß es “magere Kraken” gewesen seien, die geradezu expressionistische Formenprobleme zeigten. Schon früh erfaßte er den Begriff der Perspektive: Es geschah, als er gelegentlich eines Verwantenbesuches mit seiner Mutter auf der Berliner Schloßbrücke stand und ein kleiner Dampfer langsam unter der Brücke hindurchfuhr und sich kleiner werdend entfernte. Im Alter von 5 3/4 Jahren wurde er auf 4 Jahre in eine Volksschule eingeschult, wie es damals zur Vorbereitung für die Aufnahme in ein Gynmasium üblich war. Die Löschblätter der Hefte wimmelten von Zeichnungen, einschließlich der Portraits seiner Lehrer. Was dadurch an Unterricht in die Brüche ging, reparierte der Vater zu Haus mit dem Rohrstock wieder. Sprachen, besonders französisch und englisch bereiteten ihm Vergnügen, Mathematik sorgen. Der Zeichenunterricht wurde damals sehr vernachlässigt. “Er war dürftig und stumpfsinnig. Phantasiemäßiges Zeichnen war verpönt. Man stand noch im Zeitalter des Hoch-Naturalismus, wie er sich auch heute noch in Ausläufern hält.” Trotzdem war er seinem damaligen Zeichenlehrer Rotzoll sehr dankbar, da er es verstand, das Können des kleinen Jungen zu fördern. Von Kunstgeschichte, Kunstwerken und - werten hörte man auf den humanistischen Gymnasien kein Wort. Der Kunstunterricht hat sich seinen Platz im Lehrplan erst durch harte Kämpfe erobern müssen. Eine Tatsache, die gerade an einem humanistischen Gymnasium Erstaunen erwecken mußte. “Was ich in der Kindheit überhaupt einmal über Dürer oder Menzel erfuhr”, schrieb Erich, “das hörte ich von meiner Mutter.” Ihr hat er auch wie seiner Großmutter mütterlicherseits wohl das Talent zum Malen zu verdanken. Ein schönes Aquarell von seiner Großmutter Hand, eine Schale mit Rosen, steht, schon mit einigen Stockflecken, in einer Glasvitrine im Verdener Wohnzimmer. In der Klasse Obersekunda fand die Weiterentwicklung am Gymnasium ein jäher Ende. War das Einkommen eines königl. Bahnmeisters eben ausreichend, um zwei Söhne studieren zu lassen, so kam es insofern zu ernsten pekuniären Schwierigkeiten in der Familie, als der Vater eine Bürgschaft übernommen hatte, bei der er nun einen Teil seines Vermögens einbüßte. Zugleich ließ er sich aus gesundheitlichen Gründen pensionieren. Den rat seiner Vorgesetzten, sich zunächst nur auf ein Jahr beurlauben zu lassen, wies er aus übertriebener Gewissenhaftigkeit zurück: Er wolle ohne Leistung vom Statt Kein Geld annehmen. Auch der Bruder Paul mußte sein bereits 1 1/2 jähriges Jurastudium aufgeben und nahm einen Posten bei einer Berliner Bank an. Erich seinerseits mußte sehen, nach Verlassen der Schule möglichst schnell zu einem eigenen Beruf zu kommen, der ein baldiges Einkommen versprach. Nach einigem Überlegen entschloßer sich zu einem Beruf, der geeignet war, seine künstlerischen Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen. Durch den Bruder veranlaßt zog die Familie nach Berlin, um Erichs Ausbildung zu ermöglichen. Nach einer Probearbeit wurde er in die Königliche Kunstschule in Berlin aufgenommen. Der Professor stellte ihm einem Spankorb, viereckig mit Henkel hin, wie ihn die Bauern für Früchte und Gemse verwenden. Das Zeichenblatt sollte mit Kohle geschwärzt und das Motiv dann mit einem Radiergummi herausgearbeitet werden. Es wurde eine gute Arbeit, die das tor zur Kunstschule öffnete. Hier war ihm alles neu, was geboten wurde, nichts hatte er vom Gymnasium an künstlerischem Wissen mitgebracht. Ein eindrucksvolles Erlebnis war für ihn das Begrabnis des großen Adolf Menzel, zu dem er von der Schule abkommandiert war. Als die Zeit zum Examen nahte, stellte es sich heraus, daß er hierfür zwei Jahre zu jung war. So erfüllte er inzwischen nach zwei Jahren Kunstschule seine Militärdienstpflicht als “Einjähriger” beim II. Batl. Gren. - regiment 89 in Neustrelitz in Mecklenburg und beendete sie mit dem Dienstrad eines Unteroffiziers. Dann folgte ein weiters Jahr Kunstschule, umalt genug zu werden. Wieder eine militärische Übung beim Infanterie Regiment 143 in Altenburg und Beförderung zum Vizefeldwebel. 1907 Examen als Zeichenlehrer für höhere Lehranstalten, 1908 Turnlehrerexamen für das höhere Lehramt in Breslau. Nun schlien zwar alles Wünschenswerte erreicht, doch war bei der Überfüllung in diesem Beruf keine planmäßige Stelle zu bekommen. Selbst für die Beschäftigung als Zeichner wurde stets eine langjährige Erfahrung vorausgesetzt. 1907 - 1909 arbeitete er unter anderem für den großen Verlag Siwinna in Kattowitz: Illustrationen zu Jugendbüchern, für den Schlesischen Kalender un für die vorzüglich ausgestattete Zeitschrift “Schlesien”. Immer wieder versuchte er daneben ein festes Beschäftigungsverhältnis zu erlangen. Da gelang es ihm, in dem großen Fotoatelier Schneider in Berlin, Unter den Linden, als Negativ-Retoucheur anzukommen; eine Beschäftigung, von der er keine Ahnung hatte, in der er aber schon nach Tagen das erreichte, wozu seine Mitarbeiter jahrelange mühsame Übung in dieser “Kunst” benötigt hatten. von den 80,- Mark, die er dort verdiente, gingen 35,- für Miete und Wäsche weg. “In dieser Zeit reifte in mir ein Plan”, schreibt Erich weiter, “Paris oder London. Mit einer Fahrkarte 4. Klasse Berlin - Aachen für 13,50 Mark verließ ich am 31.7.1909 abends 10 Uhr den Bahnhof Friedrichstraße. Am 1.8.16 Uhr war ich in Köln und hatte hier 4 Stunden Aufenthalt. Dieser Aufenthalt wurde entscheidend für mein Fahrtziel. Am großen runden Wartesaaltisch saß ich mit etwa 20 Reisenden zusammen. Im Lauf der Unterhaltung tachte auch die Frage nach den Reisezielen auf. Als ich Paris nannte, fragte eine ältere Dame, ob ich dort Verwandte hätte. “Nein”. Ob ich dort eine Beschäftigung hätte. “Nein”. Was ich denn da wolle, fragte sie weiter. “Arbeit suchen”’, sagte Ich. Oh, wenn ich kein bestimmtes Ziel hätte, meinte sie, würde sie mir Brüssel empfehlen. Es wäre nicht so weit, kleiner als Paris und überdies hielte die deutsche Kolonie dort sehr gut zusammen. Mein geschmolzenes Kapital überreshnend entschloß ich mich also, nach Brüssel zu fahren. Leider mußte ich später feststellen, daß sich weder die deutsche Kolonie noch andere Verbände wie der Verein für das Deutschtum im Ausland in irgendeiner Weise für den Neuangekommenen einsetzten. Auch mit einer persönlichen Hilfe konnte man nicht rechnen, obgleich es damals in Belgien sehr viele und wohlhabende Deutsche gab. Man zahlte weder Einkommens- noch Vermögenssteuer. Außerst abenteuerlich erschien mir die Sommernacht, als ich die Fahrkarte nach Brüssel auf dem Grenzbahnhof Herbesthal löste. Das letzte Geld wurde in Francs eingewechselt: für 6,- Mark 7,50 Frans. Mit ihnen reiste ich dem sonnigen Belgien entgegen. Am 2.8.1909 stand ich auf dem Brüsseler Nordbahnof. Dies Datum ist insofern bemerkenswert, als ich nach genau 5 Jahren um die gleiche Zeit am 2.8.1914 bei Kriegsausbruch Brüssel wieder verließ. Mit 7,50 Fr. in der Tasche ging ich also auf Arbeit und Wohnungssuche. Ich fand ein bescheidenes Zimmer in einem kleinen Haus bei einer großmütigen Wirtin, die mir Deutschem sagte, ich brauchte erst dann zu zahlen, wenn ich Geld verdiene. Wo gab es so etwas in Deutschland? Mit der Arbeit war es nicht so einfach. Ein Fotograf wollte sieben Tage Probearbeit sehen, andere Versuche verliefen ähnlich. Aber wovon sollte ich solange leben. Schließlich packte ich beim ersten Besten ah und malte Aquarelle von Menschentypen auf der Straße, die mir besonders aufgefallen waren. Das Geschäft schlug ein, das heißt, ich konnte wenigstens zunächst mein Kapital von 7,50 Fr. erhalten. Ein repräsentables Kunstgeschäft am Kathedralenplatz, mit acht großen Schaufenstern, nahm sie in Kommission. Das Geschäft gehörte einem Deutschen, der mit der Bezahlung sehr säumig war, um noch Zinsen für sich herauszuschlagen. Ein anderer deutscher feudaler Kunsthändler, der nebenbei Vorsitzender des deutschen Turnvereins war, lehnte es überhaupt ab, mit deutschen Bildern zu handeln, er führe nur französische Radierungen. Geholfen haben mir durch erste Aufträge die Brüsseler Jesuiten. Zu ihnen kam ich durch eine Zeitungsannonce, in der sie einen Zeichner für eine schwierige Aufgabe in ihrem Kloster suchten. Durch sie wurde es mir auch später möglich, den Erzbischof von Mecheln, Kardinal Mercier, Primas de Belgique, im Jahre 1909 zu portraitieren. Ein Bild, das ich in meiner ersten Notzeit auch wieder jenem deutschen Kunsthändler am Kathedralenplatz - er hieß übrigens Draeger - zu Reproduktion überließ. Er machte mit diesem Bild ein unglaubliches Geschäft. Es wurde viel in Belgien gekauft und erschien in vielen Zeitungen. Meine Notlage ausnutzend, hatte er mir dafür ganze 20 Fr. gezahlt! Dann fand ich auf ein viertel Jahr Beschäftigung als Zeichner bei einem Ingenieur. Ich begleitete ihn oft auf seinen Fahrten und bekam so einen guten Einblick in das Antwerpener Befestigungswesen und -system. DAnach zeichnete ich Stadtpläne für die Reiseführer einer Schweizer Firma. Ich konnte diese Arbeit jedoch nicht lange ausführer, da sich infolge des Drucks des großen Zeichenbrettes Magenbeschwerden einstellten. Im Jahre 1910 kam die Brüsseler Weltausstellung und mit ihr gute Aufträge. Während ihres Aufbaues wurde mir die malerische Ausgestaltung und Ausschmückung von Ausstellungshallen übertragen. Zwischendurch hatte ich genug Aufträge an Gemälden und Aquarellen. Es ging mir gut. Nach Eröffnung der Weltausstellung übertrug mir das “Internationale Comité für Heimarbeit”, das dort mit einem sehr großen Gebäude vertreten war, eine schöne Arbeit, nämlich die dort mit ihrem ganzen ärmlichen Milieu ausgestellten verschiedenen Heimarbeiterfirmen (eine schwerwiegende internationale soziale Angelegenheit) in Aquarellen darzustellen, die später im Brüsseler Rathaus Aufstellung fanden. Diese Arbeit war für mich in hohem Maße interessant und auch erfolgreich. Ich lernte in dem dort untergebrachten Büro für Heimarbeit international bekannte Politiker in täglicher persönlicher Unterhaltung kennen; von rechts, von links und aus der Mitte. Unter anderem den Präsidenten der Sozialistischen Internationale H. van der Velde und Camillo Huysmanne, der sich noch füf Tage vor Kriegsausbruch 1914 nach Petersburg begab, um den Krieg zu verhindern. In der Weltausstellung selbst sah ich Königin Wilhelmine, den französischen Präsidenten Fallières, Theodore Roosevelt und andere. Nicht zu vergessen Kaiser Wilhelm II., mit dem ich sohon zuvor in den Straßen Brüssels folgendes Erlebnis hatte: Unser Kaiser war in Belgien nicht sehr beliebt, und aus der Menge, die die Straßen säumte, wurden hier und da Pfiffe laut. Als die Polizei die Massen dirigierte, ergab es sich so, daß ich plötzlich allein auf einer Treppe, die zu einer Kirche führte, stehen blieb, mit breitem schwarzen Schlapphut und schwarzer Pelerine, die Hände unter ihr verborgen. Als der Kaiser nun langsam an dieser Treppe vorüberfuhr, mußte ich ihm sofort auffallen und kaum hatte er mich erblickt, fixierte er mich finster und mißtrauisch und ließmich solange nicht aus den Augen wie er konnte. Wahrscheinlich hatten die Pfiffe im Volk ihm eine besondere Aufmerksamkeit eingegeben, die mein Habit zweifellos noch verstärken mußte. Eines Tage wurde mit großem Gefolge Kardinal Mercier durch die Ausstellung geführt. Als er mich in der Ausstellung “Heimarbeit” bemerkte, löste er sich nach vorn aus dem Gefolge, ging mit langen Schritten auf nich zu und streckte mir die mit einem blutroten Glacéhandschuh bedeckte Hand entgegen. Ich machte die auch sonst übliche höfliche Verbeugung und beantwortete ihm eine Reihe von Fragen. An einem der folgenden Tage betrat die Königinmutter Albert I., die Gräfin von Flandern aus dem Hause Hohen-zollern-Sigmaringen mit pompösem Gefolge den Saal. Auch sie begrüßte mich mit Handschlag und fragte vieles über mein Leben und meine Arbeit. Schon am folgenden Tage erhielt ich von ihrem Sekretariat die höfliche Aufforderung, eine Sammlung meiner Aquarelle in ihr Palais zu schicken. Ich tat es, und sie kaufte fünf Blätter. Die Königin Elisabeth von Belgien erwarb unter anderem “La Songeuse”. Der weitere Erfolg waren fast täglich einlaufende Bestellungen von Mitgliedern des Hofstaates, In dieser Zeit malte ich auch ein Kinderzimmerfries für die belgische Königsfamilie. Die damaligen Kinder waren: der spätere König Leopold III., Prinz Charles und Marie José, die spätere Gattin des Exkönigs Umberto von Italien. Eindrücke und Erlebnisse während der Weltausstellung und deren Riesenbrand, den ich am 14.7.1910 aus nächster Nähe miterlebte, schildern zu wollen, würde ein umfangreiches Buch ergeben.” Gelegentlich eines Artikels in der Verdener Aller-Zeitung vom 15.11.1958 über die Brüsseler Weltausstellung, die Erich eben besucht hatte, gibt er einen Rückblick über die 1910 erlebte Katastrophe: “....Selbst verwöhnte Amerikaner staunen und bewundern. Die Besucherzahl aus allen Ländern der Erde wächst von Tag zu Tag: am 14. Juli, demTag des französischen Nationalfestes, erreicht sie die Zahl 200 000, nachweisbar an ausgegebenen Eintrittskarten. Die Sonne strengt sich besonders an und läßt die Pavillons der tropischen Länder überaus stilecht erscheinen. Auch in Brüssel selbst wogt eine festlich gestimmte Menschenmenge. Etwa 19.30 Uhr überfällt die Stadt plötzlich die Kunde: “Die Weltausstellung brennt!” Im Nu sind die zur Ausstellung führenden Trambahnen überfüllt; es geht durch den Stadtteil Ixelles hinaus zu dem Vorort Boendal, wo die Ausstellung mit ihren Palästen und wundervollen Parkanlagen fast den Raum einer kleinen Stadt einnimmt. Je näher man kommt, desto drohender ballen sich dunkelrote Rauchwolken über den erregten Menschen. Auf größte Alarmstufe hin sind alle nur erreichbaren Feuerwehren herangezogen. Die Ein- und Ausgänge sind bereits mit Gendarmerie, z. T. zu Pferde, besetzt und versperrt. Nur Presseleute, Pressezeichner und Menschen, die ausweislich zu den Ausstellungsunternehmen gehören, werden eingelassen. Es brennen mit turmhohen Flammen die französische, die englische Abteilung und das Hauptgebäude Belgiens. Zahllos sind die Menschen, die noch aus der Ausstellung herausfliehen. Besonders dramatisch gestaltet sich die Flucht der großen Menschenmassen aus dem dicht an den brennenden Abteilungen gelegenen und ebenfalls brennenden Vergnügungsteil “Alt-Brüssel”, dessen Ausgänge ausschließlich mit Drehkreuzen Ausgestattet sind, so daß die Menschen nur einzeln passieren können. so geht es über Mauern und Zäune, denn “Alt-Brüssel” birgt noch eine besondere Gefahr unter einer Anzahl Attraktionen: die amerikanische Menagerie Bostock mit 25 Löwen und noch anderen wilden Tieren, deren Ausbruch in ihrer Todesangst man befürchtet, denn alles brennt lichterloh. Ein Gendarmeriekommando mit geladenen Karabinern umstellt die brennende Menagerie, um jedes sich etwa zeigende wilde Tier sofort unschädlich zu machen. Die Tiere sind alle verbrannt....” Zurückzuführen war die Tragödie auf das zur Ablenkung angelegte Feuer einer Gangsterbande, die aus der englischen und französischen Abteilung Juwelen raubte “Wenn nun auch die ganz großen Arbeitsmöglichkeiten erschöpft waren, so ging es mir doch, einmal bekannt geworden, wirklich gut. Manche erfreulichen Verbindungen und Bekanntschaften hatten sich hier auf der Weltausstellung angebahnt. Ich machte mich jetzt auf an die See, die ich immer über alles geliebt habe. Knocke, in der Nähe der holländischen Grenze wurde für zwei Jahre mein Wohnort. Doch konnte ich durch den Bäderverkehr, wie ich es erhofft hatte, keine weitere Verbesserung meiner finanziellen Lage erreichen. Also ging ich 1913 wieder nach Brüssel zurück. In den folgenden Zeiten erweiterte ich meine Arbeit auf die Industrie: Plakate, Inserate, Packungen usw. Darüber hinaus arbeitete ich in freiem Verhältnis für die größte Brüsseler Kunstdruckanstalt De Ryker in Brüssel-Forest. Es war mir möglich geworden, ein größeres Einfamilienhaus zu mieten und es von oben bis unten zu einer einzigen Ausstellung zu machen, im schönsten Vorort Brüssels, Boitsfort, wo seiner bekannten Schönheit wegen nicht ******* als 32 millionäre wohnten, zu denen ich leider nicht gehörte. Das Haus De Ryker, das für alle Länder de Erde Plakate lieferte, wollte mich nun fest engagieren. Ein interessanter und einträglicher Dauerberuf neben meiner freien Malerei. Wir waren sechs Ideen- und Plakatentwerfer, unter ihnen Engländer, Franzosen und Italiener Dann begann das große Drama von 1914: eine Woche nach meiner festen Anstellung brach der Krieg aus. Nur mit Wehmut habe ich dieses Land verlassen können, das meine zweite Heimat werden sollte. Ein liebes Völkchen und äußerst günstige Lebensbedingungen. Ich hatte viel, sehr viel belgisches Papiergeld bei mir, mit dem ich nicht mehr viel anfangen konnte. Ein englischer Zahnarzt, der mein Kunde war, und bei dem ich noch eine kleine Forderung hatte, beschaffte mir etwas Silbergeld. Während wir auf seinem Balkon standen, und zu unseren Füßen die belgische Artillerie ins Feld zog, bot er mir schützende Gastfreundschaft in seinem luxuriösen Hause an. Ich lehnte natürlich ab, für mich war jetzt das Bezirkskommando III Berlin-Schöneberg zuständig. Infolge zeitweiser heftigster migräneartiger Kopfschmerzen, an denen ich schon seit 1911 litt und zahlreichte bekannte Spezialisten ihetwegen vergeblich konsultiert hatte, wurde ich nur für Garnisondienst tauglich erklärt und als Kunsterzieher am Realgymnasium Berlin-Schmargendorf verwandt. Mein Anerbieten, mich bei meiner genauen Kenntnis Belgiens, der vollkommenen Beherrschung der französischen Sprache und der Verbindung zu hohen belgischen Persönlichkeiten in Belgien zu verwenden, blieb unberücksichtigt. Leider schickte man dorthin Leute, die nichts von dem aufweisen konnten, was uns nützlich gewesen wäre. Nebenbei arbeitete ich zeichnerisch für die Filmindustrie. In der Hauptsache waren es Trickzeichnungen für lebendige Landkarten in Propagandafilmen. Hierbei erlebte ich die Geburt filmischer Berichterstattung von Tagesereignissen. Was man heute als Wochenschau bezeichnet, war damals die Express-Film-Cie, für die ich arbeitete. Sie nante sich “Tagesschau”.” Als der Kgrieg und damit auch der Unterricht am Gymnasium in Berlin-Schmargendorf zu Ende ging, mußte ich dem heimkehrenden Stelleninhaber den Platz wieder räumen und bewarb mich aus Überdruß an der Großstadt bei drei Stadten zugleich um die Stelle des Zeichen- und Turnlehrers: Finsterwalde, Bernau und Bünde in Westfalen. Alle drei sagten zu. Ich entschied mich für das Städt. Realgymnasium in Bünde. Viereinhalb Jahre hatte ich hier Erfolg im Kunst- und Turnunterricht, dessen besonderen Zweig, das Geräteturnen ich begeistert betrieb. Der Gemäldeverkauf brachte gute Nebeneinnahmen. Inflation und unterschiedliche Lebensbedingungen in den kleinen Städten veranlaßten mich jedoch, eine örtliche Veränderung anzustreben. Ich bewarb mich um das Staatliche Domgymnasium in Verden an der Aller, an dem ich von Ostern 1923 bis zum 1.10.1052 tätig war.’ Am 29.12.1923 heiratete Erich die Tochter des Lithografen Knauer in Bünde, Martha Knauer. Ihrer Pflege und Mühe um eine besondere diätetische Kost schreibt er die endliche Genesung von seinen ihn heftig belastenden Kopfschmerzen zu. Ahnentafel Martha Knauer Martha Knauer, kath., geb. Bünde i. westfalen 22.12.1889. Carl Joseph Ferdinand Johann Knauer, kath;, geb. Breslau 17.3.1854, gest... Sophie Margarete Wilhelmine Göbbert, geb. Wesenstedt bei Sulingen in Hanover 2.12.1853, gest... Franz Knauer, geb. Schwammelwitz in Schlesien . . 1823 (kath.), gest. . , Hausverwalter Johanna Langner, beg. Grottkau in Schlesien . . 1828 (kath.), gest. . . Heinrich Bernhard Göbbert, geb. Egenhausen Kreis Sulingen 9.1.1811, gest. Wesenstedt 16.6.1854 Maurermeister. Metta Adelheid Rabbe, geb. Rathlosen ... 1816, gest. Wesenstedt 16.12.1888. Ferdinand Knauer, geb. . , gest. . , Schuhmachermeister in Schwammelwitz in Schlesien. Bernhard Rudolph Göbbert,geb. . , gest. . , Bauer in Egenhausen Kreis Sulingen. Margarethe Elisabeth Sudhop, geb. . , gest. . In Verden arbeitete Erich neben seinem Lehrerberuf planend, organisatorisch und schließlich leitend an den sehr großen und weithin bekannten sportlichen Versanstaltungen Verdens mit. Darüberhinaus arbeitete er Reklameentwürfe aus, von denen er oft zwei bis drei täglich als Auftrag erheilt. In erster Linie für Deutschlands größte und leistungsfähigste Kunstdruckerei “AG für Kunstdruck Niedersedlitz bei Dresden”. Einer ihrer Direktoren war früher ebenfalls bei De Ryker in Brüssel gewesen und nach Kriegsausbruch nach Dresden gekommen. Von dort aus hate er zewi Jahr lang durch ale Vertreter des Werkes nach Erich suchen lassen. Tatsächlich entdeckte dann auch einer von ihnen durch zufall eine Spur, über längst vergangene Zeiten hinweg nach Belgard in Pommern. Nach Dresden eingeladen, erfuhr Erich dort viel Ehre und entdeckte gleichzeitig, daß der berühmte Wenneberg in München neben ihm der einzige Entwerfer war; daher die gehäuften Aufträge. In Oktober 1926 machten Erich und seine Frau eine Reise nach Belgien. Die Deutschlandhetze in den belgischen Zeitungen war unvorstellbar. Die Wirklichkeit aber stand in krassem Gegensatz zur Presse. Entgegenkommen, Freundlichkeit und Höflichkeit waren groß. Dazu brachte man ihnen ein für deutsche Verhältnisse unbegrenztes Vertrauen entgegen. Sie besuchten Brüssel, Brügge, Ostende und Knocke. “Da wir “Valute-Ausländer” waren”, schhreibt Erich, “konnten wir uns überall das Beste leisten.” In Verden ging die vielseitige und umfangreiche Tätigkeit weiter. Hinzu kamen Ehrenämter für Stadt und Kreis Verden. Als Mitglied der Baukommission und des Jugendamtes drängte Erich immer wieder auf die Anlage eines großen Stadions. Und wenn damit die Voraussetzung für die heute Weltbekannten Reiterturniere, Sportfeste und Turnveranstaltungen gegeben wurde, so hat Erich Wessel damit in hohem Maße an der Berühmtheit Verdens beigetragen. Mit tiefem Dank im Herzen hat Erich stets an Belgien, sein Land und seine Leute zurückgedacht. Mit dankbarem Herzen an die Hohe katholische Geistlichkeit, deren Verhalten sich nie änderte, obwohl Erichs Treue zum evangelischen Glauben bekannt war. Das Gegenteil mußte er in den Jahren 1950 - 52 durch die evangelische Kirche Niedersachsens erleben. Für seine fast 30 jährige ehrenamtliche Tätigkeit für die Stadt Verden hat er viel Undank geerntet, wie das so oft der Fall ist, wenn man siene Kräfte in den Dienst der Allgemeinheit stellt. Eine große Befriedigung im Leben aber hat ihm der Kunstunterricht wie auch der der Leibesübungen gebracht. Schöne Erfolge konnte er hier verzeichnen wie tiefe Befriedigung dort erzielen. Immer hat er sich bei aller gewissen Strenge mit der ihm anvertrauten Jugend verbunden gefühlt, und mit dem Lehrkörper in bester Harmonie zusammengearbeitet. Als er im Herbst 1951 in den Ruhestand versetzt wurde und damit das Kollegium verließ, schrieb der Direktor Dr. Oldecop im Nachrichtenblatt ehemaliger Domgymnasiasten zu Verden: “Nicht ******* Als fast 30 Jahre hat er - gleich geschätzt und verehrt von seinen Schülern und Kollegen - in reichem Segen am Domgymnasium gewirkt. Jahrzehnte hindurch lag der Turnunterricht aussochließlich in seiner Hand, und wenn sich unsere Schule auf diesem Gebiet eines besonderen Rufes erfreute und erfreut, so verdankt sie das nicht zuletzt ihm. Dankbar aber werden sich auch alle seine Schüler dessen erinnern, daß und wie er sie in das Wesen der Kunsteinführte. Bereitwillig hat er unzählige Male sein Künstlerisches Können in den Dienst der Schule gestellt, wovon unter anderem die vor einigen Jahren erschienene Kunstmappe mit Bildern des Domgymnasiums beredtes Zeugnis ablegt.” Als diese Kunstmappe damals erschien, hatte auch hierzu Dr. Oldecop das Vorwort in lateinischer Sprache verfaßt: PRAEFATIO Vobis omnibus, amici carissimi, quotquot gymnasium cathedrale Verdense et quodam frequentastis, salutem plurimam dico. Erici Wessel, artificis Verdensis clarissimi, colleagae mihi amici, petensis a me, ut nonnulla verba huic opusculo praeponam, voluntati me animo libenti obsecutum esse non est cur commemorem. Atque *** persuasum mihi sit vos, ut estis discipuli gymnasii Verdensis, linguae Latinae non minus peritos esse quam vestrae, liceat mihi ad hanc rem illa uti. Aetas nostra, amicissimi, indicit in ea tempora, quibus pleraque ne dicam omnia fere, quae cordi nobis erant, corruerint, tantopere quidem, ut quodammodo fractus illabi orbis terrarum sit. Attamen quamvis his decem annis multa funditus eversa sint, unum certe nobis remansit, dico coniunctionem benevolentiae, quam semper discipuli Verdenses erga gymnasium suum praestiterunt. Etsi enim illam vocem. “Tempora mutantur, nos et mutamur in illis” sine dubio veram esse nemo negabit, tamen altera pars eius hac ratione, de qua loquimur, ad vos, amici, nequaquam pertinet. Quamobrem, nisi omnia me fallunt, hae tabulae ab Eroco Wessel nostro egregie pictae vobis maximo gaudio erunt. Videbitis exempli gratia illam porti***, quam cotidie fere - haud semper videlicet officiis diligenter functi - intrastis; videbitis porro campun illum prope Alleram fluvium situm, “ubi ut antehac sic nunc adolescentes querique in spem patriae efflorescentes corpora sedulo exercere solent” videbitis collem quoque quem ****** imperatorium aliasque res multas, quas singulas enumerare longum est. Sed ut itam praefandi finem faciam, nihil amplius adungam nisi haec vota: Ut aedificium nostrum pulcherrimum belli impetu valde disturbatum magnis difficultatibus obiectis nunc est satis bene restitum, ita maneant in posterum quoque eae virtutes, quae semper hic valuerunt: pietas et humanitas, diligentia et industria, hilaritas et laetitia! Deum vero Optimum Maximum precor, ut hanc scholam auctore Eberhardo ab Hoole, episcopo illo eruditissimo humanissimoque, ad salutem iuventutis Verdensis anno 1578 conditam benigne tueatur. Data Non. Nov. anni Dni MDCCCCIL Verda, ex oppido ad Alleram sito. Dr phil. Henricus Oldecop. Deutsch: Vorwort. Euch allen, vielgeliebte Freunde, soviele ihr einstmals auch dad Domgymnasium von Verden besucht habt, sage ich viele Grüße, sehr viel Heil! Dem Wunsche des sehr berühmten Verdener Künstlers Erich Wessel, der mir Freund ist, folgend, ich möge diesem kleinen Werke einige Worte voranstellen, bin ich in gemeinsamer Erinnerung gerne gefolgt, Und da ich überzeugt bin, daß Ihr Schüler der Verdener Anstalt der lateinischen Sprache nicht ******* mächtig seid als Eurer eigenen, sei es mir erlaubt, zu dieser Sache jene zu benutzen. Unsere jetzige Zeit, liebste Freunde, weist auf jene Zeiten hin, in denen das meiste, um nicht zu sagen fast alles, was uns am Herzen lag, zusammenstürzte, ja so sehr, daß irgendwie der ganze Erdkreis zusammengebrochen zu sein schien. Und dennoch, wenn auch in diesen zehn Jahren noch so viel von Grund auf zerstört worden ist, eines ist uns sicher geblieben, ich spreche von der Anhänglichkeit und dem Wohlwollen, durch die sich immer die Schüler Verdens gegenüber ihrem Gymnasium auszeichneten. Und wenn das Wort: “Die Zeiten ändern sich und wir ändern uns mit ihnen” keiner ablehnen wird, zweifellos wahr zu sein, so erstreckt sich dennoch der zweite Teil dieses Wortes nicht auf die Sache, von der wir reden. Deswegen werden, wenn mich nicht alles täuscht, diese Tafeln, die von unserem Erich Wessel so hervorragend gemalt worden sind, Euch eine große Freude bedeuten. Ihr werdet zum Beispiel jenes Portal sehen, in das Ihr fast täglich, aber - mit Verlaub gesagt - nicht immer mit voll erfüllten Pflichten eingetreten seid; Ihr werdet weiterhin jenes Feld sehen, das nahe dem Allerfluß liegt, wo wie einstmals, so auch heute wieder die zur Hoffung des Vaterlandes heranblühenden Jünglinge klagend und doch mutig die Körper zu üben pflegen. Ihr werdet auch jenen Hügel sehen, den man den Feldherrenhügel nennt und viele andere Dinge, die einzeln aufzuzählen zulange währen würde. Aber um dem Vorangeschickten ein Ende zu machen, füge ich nichts weiter hinzu als dies Gelübde: So wie unser so sehr schönes Gebäude - durch den Ansturm des Krieges so sehr schwer zerstört - nach Uberwindung vieler Schwierigkeiten nun wieder fast ganz hergestellt ist, so mögen in späterer Zeit auch jene Tugenden bestehen bleiben, die hier immer Wert gehabt haben: Pietät und Humanität, Sorgfalt und Fleiß, Heiterkeit und Frohsinn. Den höchsten Gott aber bitte ich, er möge diese Schule, die auf Betreiben des Eberhard V. Holle, des sehr gelehrten und humanen Bischofs, zum Heile der Verdener Jugend im Jahre des Herrn 1578 gegründet wurde, gütig bewahren. Gegeben am 9. November des Jahres 1949 in der Stadt, die an der Aller gelegen ist. Dr. phil. Heinrich Oldecop. Eine weitere Kunstmappe war ein Jahr zuvor, 1948 erschienen und zeigte acht Bleistiftzeichnungen: Chor des Domes, Domplatz zur Maienzeit, Ritterstraße mit Johanneskirche, Grüne Straße, Zwischen den Allerbrücken, Große Fischerstraße, Fährstraße und Marschmühle, Wolf von Niebelschütz schrieb das Geleitwort dazu. “Heute sind die kleinen Städte König geworden” schrieb er damals. “Die großen liegen in Schutt: als beweinenswerte Trümmerwüsten, in denen der Zerstreuungstrieb nun endlich ganz seine nur betäubende Funktion enthüllt, während das letztlich Wesentliche, was der großen Stadt ihr geistig Überragendes verlieh, mit den Kunstwerken unterging . .” Erich illustrierte die Geschichte Verdens von Carl Meyer, gab ein Skizzenheft “Unser schönes Verden” mit eigenen Gedanken und Erläuterungen heraus, schuf eine Unmenge Ölbilder, Aquarelle und Zeichnungen, die alle die großen Schönheiten, aber auch die kleinen reizvollen Winkel seiner ihm zur Heimat gewordenen Stadt Verden beleuchteten. Oft wurden sie Gegenstand von Ehrengaben der Stadt, wie zum Beispiel ein Gemälde für Helga Köhler, die Siegerin des Reiterfestes 1954. Er entwarf die im Verdener Dom gelegentlich des 375 jährigen Jubiläums des Domgymnasiums im Jahre 1953 durch Domprediger Anlauf geweihte Tafel für die im Weltkrieg 1939 bis 1945 gefallenen und vermißten 200 Schüler. Sie wurde von Bildhauermeister Eduard Sabatier und seiner Gehilfin Annemarie Kanbach in Eichenholz geschnitzt und später in der Aula des Domgymnasiums gegenüber der Gedenktafel der Gefallenen aus dem Ersten Weltkrieg angebracht. Er war des Schöpfer des Mahnmales für den Deutschen Osten, das im Bürgerpark Aufstellung fand. 34 000 Heimatvertriebene hatten Aufnahme im Kreis Verden gefunden. Am Vortag der Weihe des Mahnmals schrieb die Verdener Aller-Zeitung am 7.5.1955 in einem “Gruß des Patenkreises Verden an Preußisch Eylau”: “. . . Die heimische Bevölkerung wird sich an dem feierlichen Akt der Patenschaftübernahme und an der Weihe des Mahnmals des Ostens zahlreich beteiligen. Wir alle, Heimatvertriebene und Heimatverbliebene, wollen die Hände falten und den Allmächtigen bitten, daß er das zum Himmel schreiende Unrecht der Zweiteilung unseres Deutschen Vaterlandes besietigen möge, damit wir diesseits und jenseits des Eisernen Vorhages wieder wie früher aus der Tiefe unserer Herzen singen können: Einigkeit und Recht und Freiheit Sind des Glückes Unterpfand. Blüh’ im glanze dieses Glückes, Blühe, Deutsches Vaterland! “ Die eingemauerte Urkunde des Stadtflüchtlingsrates lautete: “Möge das Mahnmal den ihm zugedachten Zweck erfüllen, möge es jeden Beschauer daran erinnern, daß das uns entrissene Land jenseits der Oder-Neisse deutsch war, deutsch ist und immer deutsch bleiben muß.” - In den Jahren 1954 - 56 gab er in 104 Bildern farbige Darstellungen von Tieren, die von Prof. Martin Eisentraut vom Naturkunde-Museum in Stuttgart geprüft wurden. 1956 erwarb die Verdener Bäckerei Carstens das Olgemälde “Auf der Galerie der alten Verdener Windmühle”. 1957 Entwurf für den Umbau des Ehrenmales für die Gefallenen in Rethem/Aller. 1958 entstand das Lebensgroße Portrait in Öl des Vorsitzenden der Arztekammer Verden, Dr. Gohde, das im Sitzungssaal der Ärztekammer hängt. Im gleichen Jahr wurde das Großgemälde “Die Industrieund Handelskammer Verden” vollendet und im Präsidentenzimmer der Kammer in Stade angebracht. 1959 erwarb der Kasseler Oberingenieur ein Phantasiegemälde: Eine weite im Sonnenuntergang glitzernde Moorebene. Im gleichen Jahr entstand ein Großgemälde, 3 x 1,20 m einer Maschine in zehntägiger Arbeit, das zunächst in der Industrieausstellung in New York, dann in Mailand usw. gezeigt wurde. Erich Wessel war damals bereits 73 Jahre alt. Eine für dies Alter erstaunliche Leistung in so kurzer Zeit. Ich war unmittelbar danach - wie schon öfter in früheren Jahren - Gast in seinem Haus in der Georgstraße 6, in dem das Kinderlose Ehepaar auch heute noch eine glückliche Ehegemeinschaft führt. Ich fand ihn bei ausgezeichneter Gesundheit, und es war mir immer eine große Freude, seine unwahrscheinlich vielen Arbeiten, die zum großen Teil nur noch in Drucken vorhanden sind, zu betrachten. Und immer wieder setzt die ungemeine Vielseitigkeit der Arbeiten in Erstaunen. Neben Landschaften, Städteansichten, Portraits, Illustrationen für Bücher und Presse, die vielen, mir schon als Kind bekannten Reklamen für Nigrin-Schuhputz und Wybert-Tabletten, wie sie auf der ganzen Welt in den verschiedensten Sprachen in den Schaufenstern hingen. Damals wußte ich noch nicht, daß sie von Erich Wessel stammten. Zahlreiche Entwürfe für Zigarrenreklamen, Werbungen jeder Art in der Industrie und nicht zuletzt das Plakat zum Theaterstück “Der Etappenhase”, das zunächst gelegentlich der Berliner Aufführung im Jahre 1930 mit Karsta Löck in der Hauptrolle im Lessingtheater damals an jeder Litfassäule zu sehen war und dann mit dem Stück den Siegeszug um die ganze Welt bis Japan antrat. Auch ich habe es in Berlin gesehen. Dazu kamen Illustrationen für wissenschaftliche Arbeiten, wie beispielsweise für Doz. Dr. Thiessen im Zentralblatt für Gynäkologie Nr. 46, 1943 u. a. Aus früherer Zeit stammen die Illustrationen zum Märchenbuch “Gefrorene Scheiben” von A. Sonnenfels, Verlag Siwinna, Kattowitz 1908; zum Schlesischen Heimatkalender 1907 und 1911, im gleichen Verlag; und zum Dagweiser-Kalender, Bremen, Schütting-Kalender, Hannover und viele andere. Nicht zu vergessen jene Illustrationen, die er für diese Chronik, schuf, wie sie in der Einleitung bereits Erwähnung gefunden haben. Zwei Tage haben wir einmal gebraucht, uns alles anzuschauen und waren noch nicht am Ende. Schöne gemeinsame Spaziergänge führten uns zum Bürgerpark, zu seinem Mahnmal des Ostens und zu seiner Wirkungsstätte, dem Domgymnasium. In den ehrwürdigen gotischen Dom aus dem XIII. Jahrhundert und zu den Wiesen jenseits der Aller, von denen aus sich ein besonders eindrucksvolles Bild auf Stadtr und Dom eröffnete. Und zum Sachsenhain, der mit seinen 4500 Findlingen an die Hinrichtung der gleichen Zahl Geiseln der aufständischen Sachsen durch Karl dem Großen im Jahre 782 erinnern soll. Und wenn ich den kleinen Herrn heute durch die straßen seiner Stadt gehen sehe, muß ich unwillkürlich an den alten Menzel denken, an dessen Gruft er einst stand. Erich Wessel (XIII,129) machte im November 1960 eine Belgien-Reise zu den Stätten früheren Wirkens, über die ein Bericht in der Verdener Aller-Zeitung am 14.1.61 erschien: In Die Ruhe vor dem Sturm. . . Reise nach Belgien im November 1960. Wiederholt aufgefordert, über meine Reise in das noch ruhige Belgien zu berichten, will ich mich gern dieser Aufgabe unterziehen. Der Zweck meiner Reise: Es ist schön und eigenartig, an Stätten einstigen Wirkens gewissermaßen Zwiesprache zu halten mit dem eigenen "Ich vor 50 Jahren". Ich reise gern in einer Zeit, da nicht die gepferchten Menschenmassen allesamt reisen, denn da geschieht es zumeist zum Vergnügen und da sieht man das Leben falsch. Auch wähle ich gern die Nacht zum Reisen, denn es ist interessanter als am Tage, weil da nur wenige und nur solche Menschen reisen, denen Notwendigkeit oder Schicksal das Reisen abverlangt. Ich reise allein, denn eine solche Blitzreise bei Novemberwetter taugt nicht für die liebe Ehefrau. In Verden bestieg ich den D-Zug 19.12 Uhr und in Bremen nach einer knappen Stunde Aufenthalt den Nord-Express mit Kurswagen Brüssel-Ostende. Die großen Bahnhöfe Osnabrück, Münster usw. sind leer. Im Ruhrgebiet lodern feuerrot die Hochöfen. In Köln am breiten Rhein, an dessen Ufern Perlenbänder leuchtender Laternen sich in den Wassern spiegeln, fast 3 Stunden Aufenthalt und Umleitung der Kurswagen zum Tauern-Express (Belgrad-Ostende). Man hat also Muße, den nächtlichen Hauptbahnhof Köln zu studieren. Meine Mitreisenden: Mir gegenüber eine sehr würdige englische Dame (ca. 70), die ihren sohn bei den Stationierungstruppen irgendwo im Norden besucht hatte und nun nach England zurückkehrt. In der Ecke schräg gegenüber eine nette, muntere, in Berlin geborene Hamburgerin (ihr Berlinisch war unverkennbar) (ca. 45), die wieder ihre in England verheiratete Tochter besuchen mußte. Dieser Dame gegenüber ein junger Mann, schlafend (?), Beine weit gespreizt und von sich gestreckt, ein leider oft beobachtetes ungezogenes Verhalten auch seiner Altersgenossen. In Aachen, 4.30 Uhr, deutsche Paßkontrolle und Zollfragen. Gleich nach Aachen die gleichen Kontrollen belgischerseits, sehr großzügig. Somit die ersten Fragen in französischer Sprache, aber auch sie leicht, lebhaft, nett. In Aachen war eine sehr dunkelhaarige, äußerst reservierte, hoheitsvolle Dame (ca. 30) zugestiegen, dann noch ein einfach wirkender Herr (ca. 50). Es stellte sich bald heraus, daß die dunkle Dame gar nicht so reserviert war. Sie hatte mit der alten englischen Dame bald einige Worte in Englisch gewechselt, verstand auch mit der Hamburgerin in Deutsch zu sprechen und führte schließlich ein längeres Gespräch in Französisch mit dem zugestiegenen älteren Herrn. Dieser sprach Deutsch und ein ganz gutes, fliessendes Französisch, gab aber freimütig zu, daß er das Französisch weder schreiben noch recht lesen könnte. Von der hoheitsvollen, dunklen Dame aber erfuhr bald dies ganze Abteil, daß sie durch Heirat Belgierin sei, aber in Scheidung lebe Der Zug passierte indessen die belgischen Industriegebiete, Verviers (Textil), Lüttich (Waffen, Autos). Lichter von Fabriken und Wohnhäusern stehen zuweilen, wie es scheint, hoch am Himmel. Man passiert ja die Höhen der Ardennenausläufer und auch sehr hohe Brücken, so daß die Lichter auch einmal wieder tief unten erscheinen. Gegen 7 Uhr, noch nachtdunkel, nähert sich der Zug den Vororten der belgischen Hauptstadt. In Ortschaften, die vor 50 Jahren noch einfache Landorte waren, hämmern heute und glühen und brausen riesige Industriewerke. Wer so allmählich Brüssel erlebt, ist tief beeindruckt von der Gewalt aller Anlagen. 7.30 Uhr etwa Brüssel-Nordbahnhof. Die Bahnsteige des vor der Weltausstellung 1958 neu erbauten Bahnhofs sind wohl groß und zahlreich, aber äußerst einfach und sauber gehalten. Zu der riesigen, marmorgetäfelten Emfangshalle gelangt man nach Belieben zu Fuß oder per Rolltreppen. Keine Reklameaushänge! Aber ich stieg nun diesmal nicht in Brüssel aus. Mein Ziel war Weiterfahrt bis ans Meer. Der schwere Tauern-Express setzt sich wieder in Bewegung, und nachdem man noch einige in zauberhafter Kurzzeit erbaute und angestrahlte Wolkenkratzer bewundert hat, dazu die Millionen Lichter der zur Arbeit erwachenden Großstadt, rollt der Zug allmählich tiefer und tiefer und braust mit Tempo unter der Stadt Brüssel hindurch, passiert ohne Halt den Zentralbahnhof, der mehr für Berufsverkehr bestimmt ist und kommt beim Südbahnof wieder an die Oberwelt. Dieses Ganze ist die Verwirklichung eines Projektes, das schon vor 50 Jahren auf der tagesordnung stand. Während der Tunnelfahrt Begegnung mit den gut aussehenden, vollbesetzten Zügen des Berufsverkehrs im Abstand von etwa 2 Minuten. Dann Weiterreise durch Flandern: Gent, Brügge, dort umsteigen zur Fahrt nach dem etwa 15 km entfernt liegenden Knocke sur mer, dem Ziel. Ein Seebad, das zu "meiner Zeit" noch einen idyllischen Dorfteil mit uralter Kirche, Windmühle, Fischerhäuschen und Dünen besaß, heute, soweit das Auge reicht, Häuser, Häuser und breite Straßen; als beliebter Platz für allerlei internationale Kongresse, Dichtertreffen usw., übertrifft es wie man in Belgien sagt, an Besucherzahl bereits Ostende. Also Ankunft in Knocke (flämisch Knokke) 9.30 Uhr. Vom ersten Sehen beeindruckt, nichts, aber auch gar nichts mehr vom alten Knocke! Wo früher die ins dicht benachbarte Holland führende Kleinbahn einfach auf der Straße ihren Startplatz hatte, steht heute ein feudaler Bahnhof. Gleich in der Nähe ist die Vergangenheit mit Mühle, alter Dorfkirche, Fischerhäuschen zugedeckt mit einer gewaltigen neuen Kirche, die aber im Innern in strenger Einfachheit ihrer romanischen Bauweise so schön ist, daß man ganz, ganz still wird. Sonderbare Empfindungen: Die Zeit der eigenen Jugend ist zugedeckt, und an sie nun denkend sieht man sich selbst in der Vergangenheit als fremden Menschen. Ich gehe zum schönen Rathaus, zu dessen Einweihung ich 1913 das große Festplakat entworfen hatte, davon ich noch ein Exemplar besitze. Man versteckte dort meine Entwürfe nicht, sondern freute sich an ihnen und ehrte mich mit Aufträgen. Die Angestellten wieder nett und freundlich, ohne zu wissen, woher ich kam oder welches mein Anliegen war, lenkten mich auf meine Bitte sofort zu den Herren Bürgermeister und Stadtdirektor (dort bescheiden von jeher sekretaire de la commune genannt) mit denen ich mich etwa 1 Stunde in nettester Weise unterhalten konnte. Die Unterhaltung wurde in französischer Sprache geführt, obgleich es mir unterwegs in Flandern schon aufgefallen war, daß alle amtlichen Bezeichnungen, z. B. Bahnhöfe, nicht mehr zweisprachig, sondern nur noch in flämischer Benennung gehalten waren. War das als ein Zeichen neu aufkommender Abneigung gegen den wallonischen Volksteil aufzufassen? Freude und Erstaunen rief es bei den Herren hervor, daß ich ihnen Aquarelle und Zeichnungen, Darstellungen aus dem alten Knocke, dazu das von mir einst illustrierte Buch der Geschichte Knockes vorführen und einiges aus ihrer alten Gemeinde in Erinnerung bringen konnte. Während der Weltkriege haben um Knocke schwere Kämpfe stattgefunden (Kanadier gegen deutsche Marinetruppen). Auf seine tiefen Narben auf der linken Gesichtsseite hinweisend sagte mir der Stadtdirektor wörtlich: "Na, und das andere ... - davon sprechen wir hier nicht mehr, das wollen wir vergessen und haben es vergessen, und wir wissen ja auch, daß nicht alle Deutschen ‚so‘ waren". Schließlich herzlicher Abschied mit der Versicherung gegenseitiger Absicht, in freundschaftlicher, gut menschlicher Verbindung zu bleiben. Erlebt man noch kleine, erheiternde Momente, da ist man dankbar wie für eine Erfrischung: Vor meinem Abschied von Knocke wollte ich ja meiner Frau etwas Nettes als Reiseandenken kaufen. Ich spekulierte ein paar Mal, meine Finanzen überschlagend, um ein Schaufenster herum, das ein kleines Arrangement Brüsseler Spitzen zeigte, und ich dachte an so einen hübschen Auflegekragen für ein Kleid. Ich betrat also den Laden und bat, mir doch einen von den hübschen Auflegekragen zu verkaufen. Da aber Medame: "Ah non, monsieur, ce sont des slips pour des dames!"--- Ich ging und grübelte nach: Welch eine Verwendung von Brüsseler Spitzen! -- Aber lassen wir das. Wir leben ja im Zeitalter des Fortschritts. Es folgte noch ein Besuch der imposanten Stadt ostende, von dessen schönem, sehr großem und angenehmem Seebahnhof aus ich die Heimreise antrat. Der gesamte Bericht spricht nun von großen und angenehmen Eindrücken in dem im November 1960 noch friedlichen Belgien. Kennt man z. B. auch Brüssel im Frieden genauer und steigt dort aus, so empfängt einen trotz fremder Sprache sogleich eine angenehme Atmosphäre des Daseins. So war es auch in den Jahren, da ich als Kunstmaler und Graphiker dort gearbeitet habe. Aber jetzt?! - Man versteht die Besorgnisse der arbeitenden Bevölkerung betreffs der Regierungspläne, aber Ausmaß und Art und Weise des jetzigen Streiks stammen von auswärts, die wirtschaftlich-sozialen Fragen sind zu politischen umgemodelt, und die Menschen merken gar nicht, daß sie sich durch Zerstören der Wirtschaft ins eigene Fleisch schneiden. Es muß daran erinnert werden, daß die arbeitenden Massen des südlichen, des Industrie-Belgiens stark mit fremdländischen Elementen durchsetzt sind. Man darf wohl erwarten, daß alle von West und Ost, die diesen internen Streik in Belgien unterstützt haben, auch dann dem bisher blühenden Lande materiell helfen werden, wenn etwa dessen Wirtschaft durch den Streik am Boden liegen sollte und es den Streikteilnehmern dann vermutlich schlechter ergehen würde, als je zuvor. E. Wessel, Verden. CHRONIK Der FAMILIE WESSEL, Dr. Eckhard Wessel, 1961, XIII,129