Kevin Mitchell: Bedeutsame Geschichten wieder zum Leben erwecken

Kevin Mitchell lächelnd vor einem Bild von Jesus Christus; Mitchell dreht Filme über familiengeschichtliche Ereignisse

„Bedeutsame Geschichten wieder zum Leben erwecken“ – das ist Kevin Mitchells Lebensmotto. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes sein Lebensinhalt – und eine recht anspruchsvolle Aufgabe. Aber es ist auch eine Familienaufgabe und somit hat er Hilfe bei der Umsetzung seines großen Ziels. Gemeinsam mit seiner Frau und zwei seiner Söhne (insgesamt haben sie acht Kinder) möchte er durch Filme Geschichten zum Leben erwecken und so ein lebendiges Vermächtnis derer schaffen, die vor ihm gelebt haben.

Kevin Mitchell macht gemeinsam mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen Filme

Von Geschichten aus der Familie inspiriert

Kevin Mitchell fühlte sich schon immer von den Geschichten seiner Vorfahren inspiriert. Er erzählt von seinem Vorfahren John Pack, der in seinem Haus die University of Deseret (heute bekannt als University of Utah) gründete, und von seinem Urgroßvater, der als Steinmetz am Bau des Nauvoo-Illinois-Tempels der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage beteiligt war. Er berichtet auch, inwiefern sein Großvater ihn inspiriert hat. Elmo Pack war Rektor der Olympus Junior High School in Salt Lake City und hielt familiengeschichtliche Ereignisse für seine Nachkommen fest.

Kevin ist davon überzeugt: „Wir alle haben einen Film in uns, den wir erzählen können“ – eine spannende Vorstellung! Jeder von uns hat – unabhängig vom Alter oder Hintergrund – „einen Film in sich“. Aber wie erzählen wir diese Geschichte?

Mitchells Karriere als Filmemacher

Kevin Mitchell hat sich ganz offensichtlich schon immer für das Filmemachen interessiert. Er studierte an der Brigham-Young-Universität, wo er einen Masterabschluss in Rundfunkjournalismus erwarb. Seither dokumentiert er Geschichtliches. Seine Arbeit hat ihn um die ganze Welt geführt, und er war im Laufe der Jahre an einigen einzigartigen, spannenden Projekten beteiligt, unter anderem an einem Dokumentarfilm über den legendären BYU-Footballtrainer LaVell Edwards.

Kevin Mitchells Fernsehserie Legacy West

Ein solches Projekt war seine Dokumentarserie Legacy West [Vermächtnis Westen] aus dem Jahr 1997, die sich um die Planwagenzüge in den Westen der USA dreht. Im Mittelpunkt der Fernsehserie steht ein Wagenzug, mit dem die Route, der Tagesablauf und die Geschichten vieler jener Pioniere nachgestellt werden, die von 1846 bis zum Bau der Eisenbahn im Jahr 1869 die Prärie der Vereinigten Staaten durchquerten.

Kevin Mitchell vor einer Statue, die Pioniere darstellt

Für den Dreh reiste Kevin Mitchell in seinem Wohnmobil mit (einem modernen „Planwagen“) und dokumentierte den Wagenzug auf Schritt und Tritt. Er lebte so wie die Pioniere damals, wenn auch, wie er sagt, „um einiges komfortabler“, und dokumentierte alle Aspekte dieses Lebensstils. Ihm wurden die Herausforderungen, die Rückschläge und die Probleme bewusst, vor denen die Pioniere wahrscheinlich standen. Aber er kannte und verspürte auch die Begeisterung und das Fesselnde dieser Reise – jeden Tag, 111 Tage lang. Sein Team filmte jede Woche auf der Strecke eine Folge in Echtzeit. Diese wurde dann in der jeweils darauffolgenden Woche ausgestrahlt. 

Kevin und seine Filmcrew nahmen die ursprüngliche Route der Pioniere der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Verschiedene Szenen, die sich vor all den Jahren zugetragen hatten, wurden nachgespielt und dokumentiert. Kevin erzählt, dass diejenigen, die den Treck nachstellten, genau wie die Pioniere damals eine Gemeinschaft bildeten, um sich gegenseitig zu unterstützen. Wir meinen ja oft, die Pioniere hätten viel Traumatisches erlebt und eine Herausforderung nach der anderen meistern müssen, aber es war doch vor allem „ein großes Abenteuer“, so Mitchell. Nachdem er 1997 mit dem nachempfundenen Planwagenzug mitgereist war, strahlte Mitchell 70 Folgen seiner Fernsehserie „Legacy West” aus – so viel zum Thema „Bedeutsame Geschichten zum Leben erwecken“!

Verfilmung und Neuverfilmung von „Charlieʼs Christmas“

Ein Nachfahre Charlie Floods mit einer Originalausgabe des von Flood verfassten Zeitungsartikels

Kevin Mitchell war zu vielen Gelegenheiten zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Manche der Geschichten, um die es dabei ging, waren von großem öffentlichen Interesse, aber nach wie vor erfreut sich Mitchell auch an den vielleicht unauffälligen, doch besonderen Begebenheiten – an den bedeutsamen Geschichten kleiner Familien und einzelner Menschen, die im Stillen lebten und verstarben, ohne dass viele Notiz davon nahmen. Genau dies gilt für die Geschichte von „Charlieʼs Christmas“ [Charlies Weihnachten].

Kevin Mitchell hörte zum ersten Mal von Charlie, als er 1983 in der Deseret News einen Artikel mit dem Titel „Christmas I Remember Best“ [Das Weihnachtsfest, an das ich mich am besten erinnere] las. Darin wurde erzählt, was Charlie vor fast hundert Jahren an Weihnachten erlebt hatte. Laut offizieller Dokumente wurde „Charlie“ Charles Floyd Flood am 20. Juli 1917 in Omaha in Nebraska geboren. Charlie zählte zu denen, die einfach jeden Tag nahmen, wie er kam, und ihr Bestes gaben. Er war nicht berühmt, aber viele Generationen seiner Familie waren ihm innig zugetan. Als Sohn gehörloser Eltern, Charles Albert Flood und Selma Alida Falk, war Charlie mit Kummer und Schwierigkeiten vertraut. Sein Vater starb, als Charlie noch ein kleiner Junge war. Nun hatte er nur noch seine Mutter, die sie beide allein durchbringen musste, und das, als gerade in Amerika die Weltwirtschaftskrise ausbrach.

In Charlies herzerwärmender Geschichte werden die Schwierigkeiten der Familie geschildert und man erfährt, dass ein ortsansässiger Ladenbesitzer der notleidenden Familie jedes Jahr im Stillen half, einen Weihnachtsbaum zu bekommen. Obwohl der Ladenbesitzer nicht Charlies ganze Geschichte kannte, war er ein Teil dieser Geschichte und half Charlie, für seine Familie einen Weihnachtsbaum zu besorgen.

1984 drehte Kevin Mitchell ein Video über diese Geschichte und verfilmte sie im Dezember 2021 mit seinem Team von KINtv.com neu. (Das Video auf YouTube ist auf Englisch, kann aber mit Untertiteln angesehen werden.)

Mitchell und sein Team wollten den Film so authentisch wie möglich gestalten. Daher wurde genau recherchiert, wie die damaligen Verhältnisse waren, was für Kleidung man trug und andere Details. Sie behielten Charlies Originalstimme als Erzähler bei und konnten seine Geschichte mit einem echten Urenkel nachstellen. Dieser spielt die Rolle des Jungen, während die Geschichte erzählt wird.

Ob man sich diese Produktion in aller Welt anschaut, ist unerheblich. Charlies Familie wird ihren Vorfahren immer in Erinnerung behalten, weil seine bedeutsame Geschichte zum Leben erweckt wurde.

Wie man die bedeutsamen Geschichten der eigenen Familie zum Leben erwecken kann

Kevin Mitchell ist davon überzeugt, dass jede Familie Videos über ihre Vergangenheit erstellen kann. Er stößt jedoch häufig auf Leute, die der Meinung sind, derlei sei doch wohl eher etwas für die Betagten. „Das stimmt einfach nicht!“, erklärt er. „Geschichten aus der Familie zu erzählen und in einem Video festzuhalten, sollte eine Familienveranstaltung sein.“ Und in der heutigen Technik sind die jungen Leute – gerade auch was Videos drehen angeht – wahrscheinlich sehr viel bewanderter als die ältere Generation.

Ein Nachkomme Charlie Floods spielt ihn in einem Video über seine bedeutsame Geschichte

„Es muss ja nichts Episches sein“, meint Mitchell. Wir können und müssen nicht alle ein Steven Spielberg sein, um eine Geschichte aus der Familie per Video zum Leben zu erwecken. (Übrigens begann Spielbergs Karriere auch mit dem Dreh von Amateurfilmen. Dazu nutzte er bei Pfadfinderaktivitäten die Videokamera seines Vaters.)

Mitchell, der vor kurzem den RootsTech-Filmwettbewerb gewonnen hat, hat für angehende (zumindest in der Familie) preisgekrönte Videofilmer ein paar Tipps auf Lager. Entsprechend seiner Philosophie, dass wir alle „einen Film in uns“ haben, schlägt er vor, wie man für seine Familie bedeutsame Geschichten wieder zum Leben erwecken kann:

  1. Suche eine Begebenheit aus deiner Familiengeschichte heraus, die man nachspielen kann. Das kann ganz leicht sein. Es reicht schon, wenn der Großvater seinen Nachkommen von „der guten alten Zeit“ erzählt und sie merken, dass auch Opa einmal jung war. 
  2. Recherchiere und authentifiziere die Geschichte. Besorge die Daten und Fakten zur Geschichte. Befrage ältere Familienmitglieder, die vielleicht bei dem fraglichen Ereignis dabei waren oder die Fakten kennen. (Versuche, die überlieferte Geschichte von den tatsächlichen Fakten zu trennen.) 
  3. Schreib eine Erzählung und erstelle ein Storyboard der Geschichte. Dazu schreibst du eine Erzählung, skizzierst sie in Einzelbildern (das nennt man Storyboard) und wählst dann die Szenen für den Film aus. Das hilft dir dabei, dir die Geschichte vorzustellen, bevor du mit dem Dreh beginnst. 
  4. Hilf deiner Familie, sich die urspüngliche Szene vorzustellen: Wo war es, wer war dabei, wie ereignete es sich, was wurde gesagt und wann geschah es. Ist der Originalschauplatz der Geschichte noch vorhanden? Wie sieht er heute aus? Sammle zu der Geschichte die passende Kleidung zusammen und begib dich nach Möglichkeit dorthin, wo sich das ursprüngliche Ereignis zugetragen hat. 
  5. Lass Familienmitglieder die Filmrollen spielen. Suche einen direkten Vorfahren, der den Hauptdarsteller spielt oder die Geschichte erzählt, und setze andere Familienmitglieder als Nebencharaktere ein. 
  6. Filme die Nachstellung. Probt die Szenen einige Male, aber vergesst nicht, Spaß dabei zu haben. Genießt diese gemeinsame Zeit, lasst die Schauspieler in den Moment eintauchen, damit sie ein umfassendes Gefühl für ihre Vorfahren und deren Geschichte bekommen. 
  7. Suche nach Fertigstellung des Filmes Möglichkeiten, das Video anderen Familienmitgliedern zu zeigen. Man könnte es etwa bei einem Familientreffen vorführen oder einen Link ins Internet stellen.  
Einige Schauspieler am Set von „Charlieʼs Christmas“

Das klingt ziemlich leicht und das kann es auch sein! Mitchell hat inzwischen sein eigenes Studio (Mitchell Productions in Orem in Utah), wo er professionelle Videos produziert, aber du selbst mach dir bitte bewusst: Deine Familienfilme müssen nicht professionell sein. Mitchell erzählt, dass er für die Regie seiner Filme oft Filmstudenten nahegelegener Hochschulen gewinnen kann. Die Studierenden müssen nämlich oft im Rahmen eines Kurses einen Film erstellen und suchen häufig nach Möglichkeiten, bei einem Video Regie führen zu können. Mitchell ist dazu übergangen, professionelles Ton- und Beleuchtungspersonal zu engagieren, betont aber, dass dies mit der heutigen Technik nicht notwendig sei. „Selbst eine gute Handykamera reicht aus“, merkt er an.

Und wenn dein Film fertiggestellt ist? „Mach ihn unbedingt deinen Familienmitgliedern zugänglich!“, lautet Mitchells Ermunterung. Man kann bedeutsame Geschichten hervorragend auf FamilySearch.org unter FamilySearch – Erinnerungen weitergeben. Derzeit verfügt FamilySearch zwar nicht über ausreichend Kapazität, Videos in dem Bereich „Erinnerungen“ online zu stellen, aber Erzählungen und Fotos kann man dort gut für künftige Generationen veröffentlichen.

Denk an Mitchells Worte: „Wir alle haben einen Film in uns, den wir erzählen können“, und wir alle können mithelfen, bedeutsame Geschichten unserer Familie „wieder zum Leben zu erwecken“. Das ist unsere Aufgabe. Worum geht es also in deinem Film?

Anmerkung des Verfassers: Kevin und seine Frau machen sich bald in ein neues Abenteuer auf. Sie werden nämlich in Finnland für die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage eine Mission erfüllen. Auf Mission werden er und seine Frau weiterhin Filme produzieren.

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