Ich frage mich, wie es für meine Oma wohl war, als sie Mutter von fünf kleinen Kindern war und tagein, tagaus in ihrem Kleinstadt-Café arbeitete. Ich wünschte, ich wüsste mehr über die Kriegserlebnisse meines Urgroßvaters. Ich würde meine Mutter so gerne über ihre Beziehung zu ihrem Vater befragen.
Im Laufe unseres Lebens tauchen immer wieder Fragen zu unseren Eltern und Großeltern auf. Haben wir Glück, können wir sie einfach anrufen und fragen. Doch das ist nicht immer so. Die einzige Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass wir nach dem Tod unserer Lieben nicht vor Dutzenden unbeantworteten Fragen stehen, besteht darin, ihnen diese Fragen jetzt zu stellen. Befragen Sie ältere und jüngere Verwandte. Befragen Sie auch sich selbst.
Die folgenden Geschichten zeigen, wie zwei Frauen dieses Jahr ein Projekt zur Lebens- oder Familiengeschichte begonnen haben, um wichtige Erinnerungen, Erlebnisse und Erkenntnisse festzuhalten, damit diese nicht verlorengehen. Die zwei unterschiedlichen Erfahrungen zeigen, dass die Bewahrung von persönlichen Erlebnissen und Geschichten der Familie nicht völlig vereinnahmend oder überwältigend sein muss. Man braucht lediglich Hingabe, ein bisschen Routine und aufschlussreiche Tipps aus dem Projekt #52stories (#52Geschichten).
Kim Farrah: Erfahrungen alternder Eltern bewahren
Kims Kinder sind bereits aus dem Haus. Sie arbeitet für die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage und saß letztes Jahr in einer Besprechung zum Projekt #52stories, als ihr der Gedanke kam: „Ich muss meine Eltern befragen.“
Das Projekt #52stories ermutigt die Teilnehmer, ein Jahr lang jede Woche eine persönliche Erfahrung oder eine Geschichte der Familie zu bewahren. Das Projekt bietet 144 Fragen zur Auswahl an, die in zwölf monatliche Themen unterteilt sind. Die Fragen können in verschiedenen Formaten heruntergeladen werden. Während Sie dem Gespräch über das Projekt lauschte, hatte Kim eine sehr starke Eingebung und fühlte sich gedrängt, sofort damit zu beginnen, die Geschichte ihrer Eltern zu bewahren.
„Meine Eltern waren an einem Punkt in ihrem Leben angelangt, an dem sie viele Kisten leerten und Erinnerungen und Bilder sortierten“, erzählt Kim. „Sie haben viel zu erzählen, aber man muss sich zu ihnen setzen und Fragen stellen, um ihre Geschichten zu hören.“
Kim druckte alle 144 Fragen aus, die in zwölf Kategorien wie. Ziele und Errungenschaften, Feiertage und Traditionen sowie Liebe und Freundschaft unterteilt sind. Sie heftete die Fragen in ein Notizbuch, das sie ihren Eltern zu Weihnachten schenken wollte. Sie kaufte zudem ein digitales Tonaufnahmegerät und bat ihre Schwester um Unterstützung.
„Es war genau das, was sich meine Eltern wünschten“, sagt sie. „Sie wollten ihre Lebensgeschichte weitergeben, wussten aber nicht, wie sie das anstellen sollen.“
Kims Herangehensweise: Monatliche Interviews
Einmal im Monat setzen sich Kim und ihre Schwester mit ihren Eltern, Lynne und Elaine Stanley, zusammen. Sie sprechen ein, zwei Stunden lang miteinander und nehmen ihr Gespräch mit dem digitalen Aufnahmegerät auf. Das digitale Aufnahmegerät generiert Audiodateien, die sie zu Hause dann ganz einfach auf den Computer hochladen kann. Im Alter von 83 und 81 Jahren fühlen sich die Stanleys mit einer Tonaufnahme viel wohler als mit einer Videoaufnahme. Sie finden es auch gut, die Fragen bereits im Voraus zu kennen. Statt sich jeden Monat nur ein paar Fragen auszusuchen, beantworten sie jede einzelne Frage.
„Sie schauen sich die Fragen an und sprechen dann darüber“, berichtet Kim. „Sie sind oft Andenken aus ihrer Kindheit durchgegangen und sind so auf diese Interviews vorbereitet.“
Einmal telefonierte Elaine vor einem der monatlichen Interviews sage und schreibe fünf Stunden lang mit ihrer Schwester, um Einzelheiten und Erlebnisse aus ihrer Kindheit zu klären.
Kim findet es gut, dass bei #52stories offene Fragen gestellt werden, sodass es ihren Eltern leichter fällt, Antworten zu geben, die aufschlussreich sind und auch tiefgründige und bedeutungsvolle Gespräche einleiten können. „Am Ende spricht man über etwas, worüber man normalerweise nicht redet, und man erfährt etwas über die Persönlichkeit der Eltern, was man nicht wusste“, erzählt Kim.
Lautet das Ziel auch, Geschichten über die Familie zu bewahren, so ist die Vertiefung der generationsübergreifenden Beziehungen ein wunderbarer Nebeneffekt. „Meine Kinder halten Oma und Opa für perfekt. Sie können sich nicht vorstellen, dass sie einmal junge Leute waren, die Herausforderungen bewältigen mussten“, erläutert Kim. Sie freut sich, dass sie ihren Kindern so näherbringen kann, was ihre Eltern überwinden mussten, um die Menschen zu werden, die sie heute sind.
Jetzt festhalten und später bearbeiten und an andere weitergeben
Sind die Interviews beendet, möchte Kim die Audioaufnahmen abtippen und bearbeiten, damit sie besser lesbar sind. Sie will das Notizbuch ihrer Eltern mit den Abschriften füllen und auch die digitalen Dateien aufbewahren. „Die Audioaufnahmen enthalten so viel Gefühl“, berichtet sie. „Die schriftliche Version kann die Neckereien einfach nicht widerspiegeln.“
Irgendwann möchte sie alle Abschriften als Buch binden und jedem Familienmitglied eines davon zukommen lassen und vielleicht sogar ein kurzes Video über das Projekt produzieren. Sie lässt offen, wohin das Projekt sie führen wird und weiß, dass das Wichtigste darin besteht, die Erinnerungen und Geschichten jetzt erst einmal festzuhalten. Es bleibt noch Zeit genug, sich zu überlegen, was sie mit den gesammelten Antworten künftig machen möchte.
Kara Hale: Die eigene Lebensgeschichte bewahren
Kara ist eine junge Mutter. Sie hat vier Kinder, lebt in Centerville in Utah und folgt @FamilySearch auf Instagram. In ihrem Instagram-Feed erscheint jede Woche eine Frage aus dem Projekt #52stories. Kara hat sich vorgenommen, jede dieser Fragen auf ihrem iPad zu beantworten. Oft tippt sie mit einer Hand, während sie ihr kleines Baby wiegt. Kara hat ihr Projekt im Januar begonnen und wird bis zum Jahresende 52 Geschichten über ihre Vergangenheit und ihr derzeitiges Leben niedergeschrieben haben.
Karas Herangehensweise: Erinnerungen in einer App festhalten
Kara verbringt jeden Sonntag etwas Zeit damit, ihre Erinnerungen in eine Tagebuch-App mit dem Namen „Day One“ zu tippen. Sie hat diese wöchentliche Gewohnheit begonnen, als ihr Baby gerade geboren war. Die beiden hatten jede Woche ein paar Stunden allein zu Hause, wenn die restliche Familie in der Kirche war.
„Ich dachte einfach, ich muss aufhören, alles mit der Hand zu schreiben“, erzählt Kara, die als Jugendliche mitgeholfen hatte, die alten Tagebücher ihrer Großmutter abzutippen. Sie will nicht, dass ihre Nachfahren das Gleiche tun müssen.
„Man musste wirklich viel durchsehen, um die kleinen Schätze zu finden“, berichtet sie über die Tagebücher ihrer Großmutter. „Ihr Leben war arbeitsreich, und es ging viel um täglich anfallende Aufgaben, es war eine Art Ereignisprotokoll: ‚Ich war bei einer Versammlung der Kirche. Wir haben Soundso besucht, und Soundso hatte Geburtstag.‘“
Kara findet es toll, jede Woche eine Frage zu bekommen, die sie beantworten kann, weil es nicht einfach ist, ein Thema zu finden, über das man schreibt. „Ich will nicht schreiben, dass ich die Wäsche gewaschen oder Staub gesaugt habe“, meint Kara. „Ich will über Bedeutungsvolles schreiben.“
Sie freut sich über die Vielfalt der Fragen bei #52stories. Manche sind unbeschwert und lustig, andere wiederum ernster. Viele Lebensbereiche werden damit abgedeckt.
Als Mutter, die viel zu tun hat, freut sich Kara, wenn sie sich hinsetzen und über ein bestimmtes vorgegebenes Thema schreiben kann: „Ich habe keine Lust, erst eine Reihe von Fragen durchzugehen. Ich möchte einfach nur eine Frage haben, die ich beantworten kann. Das ist das Schöne daran. Ich brauche keine Vorbereitungszeit.”
Die positiven Nebenwirkungen des Geschichtenerzählens
Kara hat – für sie überraschend – dank der wöchentlichen schriftlichen Beantwortung der Fragen drei wichtige Lebenslektionen gelernt:
Beim Schreiben kann man in Ruhe nachdenkenInspiriert durch eine der wöchentlichen Fragen überlegte Kara, wie es wohl gewesen wäre, das Leben ihrer Großmutter zu führen. Ihre Großmutter hatte ihr Leben lang harte körperliche Arbeit verrichtet. Viele ihrer Aufgaben waren ruhig und monoton, sodass die Gedanken wandern konnten und sie Zeit für Erinnerungen und zum Nachdenken hatte.
„Heute fehlen uns diese ruhigen Momente, wo man draußen auf dem Feld ist oder Wäsche wäscht“, meint Kara. Wir neigen dazu, Kopfhörer einzustöpseln und unsere Gedanken in Musik, Podcasts, Nachrichten und anderem zu ersticken. So wunderbar das sein kann, raubt es uns doch Zeit zum Nachdenken. Das Projekt #52stories hat Kara ermutigt, Zeit zu finden, nachzudenken und Zusammenhänge herzustellen.
„Für einen Menschen in der heutigen Zeit ist es eine gesunde Angewohnheit, Dinge niederzuschreiben, über das Leben nachzudenken und es nicht einfach nur zu leben“, schlussfolgert Kara.
Schreiben weckt die Lust, mehr zu schreibenKara wollte schon seit langem eine Art Tagebuch führen. Zunächst wollte sie in einem Jahr 52 gezielte Fragen beantworten und es dann auf sich beruhen lassen.
„Dieses Projekt hat meine Schreibblockade gelöst“, erklärt Kara. „Es hat dazu geführt, dass ich jetzt auch über wichtige Ereignisse schreibe, die sich gerade in meinem Leben abspielen. So wird es aufgezeichnet. Früher hätte ich das nicht getan.“
Kara hat kein Problem damit, in der gleichen App Vergangenes mit Aktuellem zu kombinieren. Sie fühlt sich nicht an eine chronologische Herangehensweise gebunden und weiß, dass sie die gesammelten Geschichten später immer noch sortieren kann, wenn sie möchte.
Das Schreiben hilft uns, über die Grenze des Behaglichen hinaus zu gehenAb und zu trifft Kara auf eine Frage, die ihr unangenehm ist, aber sie antwortet trotzdem darauf. Jeder hat Zeiten in seinem Leben, über die er selbst viele Jahre später noch nicht gerne spricht. Diese Erlebnisse sind vielleicht die wichtigsten, die es zu bewahren gilt.
„Ich versuche ständig, meine Kinder zu überzeugen, etwas Neues auszuprobieren“, erzählt Kara. „Ich selbst beschränke mich auf das, was mir angenehm ist, aber ich will, dass sie Neues entdecken und ausprobieren? Es ist gut, wenn man über die Grenze des Behaglichen hinaus gedrängt wird.“
Warum es sich auszahlt, Geschichten zu bewahren
Kara und Kim beide gelernt: Wenn wir uns verpflichten, über unser Leben zu schreiben oder unseren Lieben helfen, ihre Erinnerungen festzuhalten, brauchen wir nicht Jahrzehnte warten, um Nutzen daraus zu ziehen. Die Vorteile sind sofort spürbar: tiefgründigere Gespräche mit unseren Lieben, ein besseres Verständnis davon, wo wir herkommen, eine veränderte Perspektive in Bezug darauf, was im Leben wichtig ist, gestärkte generationsübergreifende Beziehungen und tiefempfundene Dankbarkeit.
Bevor man beginnt, muss man nicht genau wissen, was man mit den Geschichten, die man sammelt, macht, wie man diese sortiert oder wie man sie weitergeben möchte. Das Wichtigste besteht darin, einfach damit anzufangen – und zwar jetzt gleich.
Tipp: Wenn Sie Geschichten über sich selbst oder über Ihre Lieben sammeln wollen, können Sie diese als Erinnerungen im jeweiligen Profil auf FamilySearch.org hochladen. FamilySearch.org ist ein dauerhaftes und kostenloses Archiv mit dem Ziel, die weltweit größte genealogische Datenbank zu schaffen. Sie können sogar Audiodateien und Bilder hochladen.
Fünf Tipps zur Bewahrung von persönlichen Ereignissen und Geschichten der Familie
- Fangen Sie einfach irgendwo an. Beginnen Sie mit dem, was Sie jetzt gerade begeistert. Es gibt keine Regel, die lautet, dass Sie bei Ihrer Geburt beginnen und Ihre Lebensgeschichte in chronologischer Reihenfolge erzählen müssen.
- Halten Sie Ihre Geschichte jetzt fest und sortieren Sie später. Schreiben Sie oder nehmen Sie Geschichten auf, wenn eine Erinnerung hochkommt. Später können Sie immer noch entscheiden, was Sie mit den Geschichten machen möchten.
- Entwickeln Sie eine Routine. Reservieren Sie jeden Sonntag 30 Minuten, um sich Ihrer Lebensgeschichte zu widmen oder legen Sie einen monatlichen Interview-Termin mit Ihren Großeltern fest. Tun Sie es regelmäßig und beständig.
- Nutzen Sie vorgegebene Fragen, um Erinnerungen zu wecken. Sie wissen nicht, worüber Sie schreiben sollen? Stützen Sie sich auf aufschlussreiche vorgegebene Themen und Fragen, wie jene aus dem Projekt #52stories.
- Es soll wie ein lockeres Gespräch sein. Verzichten Sie auf Formalitäten. Ganz gleich, ob Sie Ihre Geschichte niederschreiben oder jemanden interviewen: Halten Sie Ihre aufrichtigen Gedanken und Gefühle oder die der Befragten fest. Seien Sie Sie selbst.